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(Un)erwünschtes Erinnern? Wie bereit­willig ist die Ausein­an­der­set­zung der Deutschen Bahn mit ihrer Vorge­schichte?

06. Februar 2008
(Un)erwünschtes Erinnern? Wie bereitwillig ist die Auseinandersetzung der Deutschen Bahn mit ihrer Vorgeschichte?

Die Eisenbahn ist verbunden mit dem dunkelsten Kapitel deutscher Eisenbahngeschichte. Sie spielte eine entscheidende Rolle bei den Deportationen von Juden, Sinti und Roma so wie politisch Verfolgten aus ganz Europa in die Konzentrations- und Vernichtungslager des `Dritten Reiches´. Auf das Schicksal von schätzungsweise 1,5 Millionen mit dem Zug deportierten Kindern geht nun eine von dem Verein „Zug der Erinnerung“ initiierte Ausstellung ein. Seit dem 8. November 2007 fährt der „Zug der Erinnerung“ durch Deutschland mit Stopps in über 30 Städten und zeichnet so die Deportationsrouten in Richtung Auschwitz nach.

Die Humanistische Union Niedersachsen unterstützt diese Aktion ausdrücklich. Gerade auch in Zeiten in denen rechtsextremes Gedankengut noch immer nicht überwunden ist, erscheint uns die historisch-politische Aufklärung besonders bedeutsam. Stephan Glienke, Zeithistoriker und Vorstandsmitglied der Humanistischen Union Niedersachsen, betont die Bedeutung privater Initiativen wie „Zug der Erinnerung“ für die historisch-politische Bildung. „Schon Anfang der sechziger Jahre waren es private Initiativen, die sich in Ausstellungen wie `Ungesühnte Nazijustiz – Dokumente der NS-Justiz“ und `Die Vergangenheit mahnt´ brisanter historischer Themen angenommen haben und so eine öffentliche Auseinandersetzung mit den Verbrechen des Nationalsozialismus anregen konnten.“ Die Ausstellung „Ungesühnte Nazijustiz“ war von Studenten initiiert und in der Zeit von 1959-1962 in zahlreichen westdeutschen Universitätsstädten und in Westberlin worden. Sie illustrierte anhand von Urteilen der nationalsozialistischen Sondergerichte die Justizverbrechen des `Dritten Reiches´ und konnte so der Debatte um den Umgang mit wiederamtierenden ehemaligen NS-Richtern einen bedeutenden Anstoss geben, die schließlich zur Verabschiedung des § 116 des Deutschen Richtergesetzes von 1961 führte, das den Behörden die Möglichkeit zur vorzeitigen Pensionierung politisch belasteter Justizjuristen an die Hand gab.

Die Ausstellung „Die Vergangenheit mahnt“ war von Westberliner Studenten initiiert und in den Jahren 1960-1962 in mehreren deutschen Städten gezeigt worden. Es handelte sich um die erste große deutsche Ausstellung zur Judenverfolgung in Deutschland. „Erst nach dieser Ausstellung“, so Glienke, „folgten von der öffentlichen Hand geförderte Ausstellungen zur Judenverfolgung.“

Glienke erklärt weiter: „Es ist bezeichnend, dass sich auch die Deutsche Bahn erst nach dem erfolgreichen Start der Ausstellung `Zug der Erinnerung´ im vergangenen Jahr dazu durchringen konnte, ihre eigene Ausstellung `Sonderzüge in den Tod´ auch in Bahnhöfen zu zeigen.“ Erst nach einer zum Teil sehr heftig geführten Auseinandersetzung mit dem Bundesverkehrsminister Wolfgang Tiefensee (SPD), hatte das Unternehmen eine eigene Wanderausstellung in Auftrag gegeben. Lange weigerte sich Bahn-Chef Hartmut Mehdorn vehement dagegen, sie wie die Ausstellung „Zug der Erinnerung“ in Bahnhöfen zu zeigen. Inzwischen ist die Ausstellung „Sonderzüge in den Tod – die Deportationen mit der Deutschen Reichsbahn“ Seit Ende Januar 2008 im Potsdamer Bahnhof in Berlin zu besichtigen und auch Teile der umstrittenen und zuvor in Frankreich präsentierten, von Serge und Beate Klarsfeld erarbeiteten Ausstellung, die Grundlage war für den „Zug der Erinnerung“, sind nun von der Deutschen Bahn AG aufgenommen worden. Der Historiker Glienke erklärt: „Dass die Deutsche Bahn von den Initiatoren der Ausstellung `Zug der Erinnerung´ immer noch die Zahlung von Gebühren für die Nutzung von Bahntrassen und Bahnhöfen verlangt, lässt jedoch Zweifel an der Bereitwilligkeit aufkommen, mit der sich das Unternehmen seiner historischen Verantwortung stellt.“

Die Kosten der bundesweiten Initiative „Zug der Erinnerung“ belaufen sich nach Schätzungen ihres Sprechers Hans-Rüdiger Minow auf 500-600.000 EURO. Die Humanistische Union Niedersachsen setzt sich dafür ein, dass die Kosten für die Ausstellung durch den Bund übernommen werden und die Deutsche Bahn AG auf die an die Initiative gerichteten finanziellen Forderungen verzichtet. Um dieser Forderung Nachdruck zu verleihen, hat sich die Humanistische Union Niedersachsen schriftlich an den Bundesminister für Verkehr, den Verkehrsausschuss des Deutschen Bundestages und an den Vorstand der Deutschen Bahn AG gewandt.

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