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HU fordert Jugend­s­traf­voll­zugs­ge­setz und Beibe­hal­tung der Bundes­kom­pe­tenz für die Gesetz­ge­bung zum Straf­vollzug

15. Dezember 2005

Geht man nach dem Koalitionsvertrag der neuen Regierungskoalition, dann wird die Bundesregierung jedenfalls in einer Hinsicht widersprüchlich agieren: Zum einen wird dort in Aussicht gestellt, dass nun der Jugendstrafvollzug und die Untersuchungshaft auf eine – bislang nicht bestehende – gesetzliche Grundlage gestellt werden sollen, während an anderer Stelle die Gesetzgebungskompetenz für die Materie „Straf- und U-Haft-Vollzug“ im Rahmen der Föderalismusreform auf die Länder übertragen werden soll.

In einem Brief von Dezember 2005 an Kanzlerin Angela Merkel und Justizministerin Brigitte Zypries fordert die HU, die Bundeskompetenz für die Gesetzgebung zum Straf- und U-Haft-Vollzug zu erhalten und die angekündigten Jugendstrafvollzugs- und U-Haft-Vollzugsgesetze nun endlich zu erarbeiten und zu beschließen.

Zur Verlagerung der Gesetz­ge­bungs­kom­pe­tenzen

Sachlich ist es verfehlt, für den Bereich Strafrecht unterschiedliche Gesetzgebungskompetenzen zu schaffen. Die Materie „Strafrecht“ ist eine Einheit, die das materielle Strafrecht, das Jugendstrafrecht, das Strafverfahrensrecht und das Strafvollzugsrecht umfasst. Es wäre in der Sache widersinnig, wenn die Kompetenzen für die Bestimmung der Strafziele und der Strafvoraussetzungen einerseits und für die Umsetzung der Strafe andererseits in verschiedenen Händen liegen würden. Eine einheitliche und in sich widerspruchsfreie Umsetzung des Strafrechts wäre damit nicht mehr zu gewährleisten.

Darüber hinaus muss auch damit gerechnet werden, dass die bislang im Wesentlichen bundeseinheitlich definierten Standards unter dem erheblichen Spardruck, dem die Bundesländer ausgesetzt sind, weit nach unten nivelliert werden. Der Strafvollzug hat aber bereits gegenwärtig nichts mehr zu verschenken, sondern leidet erheblich unter den in diesem Bereich vorgenommenen Kürzungen und der in den letzten Jahren zu verzeichnenden deutlichen Zunahme der Inhaftierten. Die meisten Anstalten sind überbelegt und mit Fachpersonal unterversorgt.

Eine Übertragung der Gesetzgebungskompetenz würde nicht nur das Ende des bundeseinheitlich an der Resozialisierung ausgerichteten Stravollzugsrechts bedeuten, sondern letztlich auch zu einer Verschlechterung der Resozialisierungschancen der Strafgefangenen und zu einer Erhöhung des Rückfallrisikos führen. Damit wäre niemandem gedient.

Der gesetzlose Jugend­s­traf­vollzug

Es ist gerade etwas mehr als 33 Jahre her, dass das Bundesverfassungsgericht mit seinem Urteil zum Strafvollzug die Rechtsfigur des Besonderen Gewaltverhältnisses abschaffte und feststellte, dass auch Strafgefangene während ihrer Haft Träger von Grundrechten sind. Eingriffe in ihre Grundrechte bedürfen seither einer formellen gesetzlichen Grundlage. Bis zu diesem Zeitpunkt war angenommen worden, dass Personen, die einem besonders engen, intensivem öffentlichen Obhutsverhältnis unterliegen, namentlich Schüler, Soldaten, Strafgefangene und Beamte, sich bei der Ausgestaltung dieses Gewaltverhältnisses nicht auf Grundrechte berufen könnten.

Dass staatlich verordneter Freiheitsentzug einer gesetzlichen Grundlage bedarf, die die Rechte des Einzelnen in der Gefangenschaft benennt, die Zugriffsmöglichkeiten der Institution beschränkt und effektive Rechtsbehelfe gegen belastende Maßnahmen enthält, ist inzwischen eine Selbstverständlichkeit. Zahlreiche ehemalige Ostblock-Länder mussten ihren rechtsstaatlichen Status Quo unter Beweis stellen, als sie der EU beitreten wollten. Innerhalb eines überschaubaren Zeitraums wurde von ihnen verlangt, ihr Recht mit den rechtsstaatlichen Mindeststandards der EU-Staaten in Übereinstimmung zu bringen. Die Bundesrepublik hat zwar seit 1977 ein gültiges Strafvollzugsgesetz. Eine gesetzliche Grundlage für den Vollzug der Jugendstrafe gibt es aber nach über 33 Jahren immer noch nicht.

Zwar existieren einige Vorschriften in den bestehenden Gesetzen, die den Vollzug der Jugendstrafe betreffen (etwa die § § 91, 92 Jugendgerichtsgesetz – JGG), auch im Strafvollzugsgesetz finden sich einige verstreute Normen. Diese Vorschriften regeln jedoch nur Einzelbereiche und sind, auf das Ganze bezogen, ausgesprochen fragmentarisch. Auch von der Möglichkeit, den Vollzug der Jugendstrafe mit einer Rechtsverordnung zu regeln ( § 115 JGG), hat bislang keine Bundesregierung Gebrauch gemacht, so dass einzige „Rechtsgrundlage“ bis dato die nur verwaltungsintern geltende VVJug ist.

Da der Vollzug der Freiheitsstrafe wegen des im Jugendstrafrecht geltenden Erziehungsgedankens und der unterschiedlichen Lebensphasen der Betroffenen zwei wesentlich verschiedene Gegenstände sind, ist das Strafvollzugsgesetz auch nicht analogiefähig, um die Lücken zu schließen.

Unmittelbar betroffen sind etwa 7.300 Jugendliche, Heranwachsende und junge Erwachsene im Gefängnis. Schätzungsweise etwa 18.000 Jugendliche und Heranwachsende werden jährlich zu Jugendstrafen verurteilt, wobei fast zwei Drittel der Strafen zunächst zur Bewährung ausgesetzt werden.

Ähnlich sieht es bei der Untersuchungshaft aus: Zwar ist in der Strafprozessordnung geregelt, dass Haftbefehle erlassen werden können, wann Haftprüfungen stattfinden und Haftbefehle aufgehoben oder außer Vollzug gesetzt werden müssen. Aber auch hier gibt es keine Vorschriften, die die Rechtsstellung des Beschuldigten während des U-Haft-Vollzuges regeln, sondern es wird auf Verwaltungsvorschriften und das Strafvollzugsgesetz zurückgegriffen. Eine gesetzliche Normierung ist überfällig. Die ehemalige rot-grüne Bundesregierung hatte hierfür zwar Gesetzentwürfe vorgelegt. Nach mehreren Verschiebungen waren diese allerdings mit Schröders Neuwahlankündigung hinfällig.

Jochen Goerdeler

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